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F.A.Z.-Archiv

Wirtschaft Frankfurter Allgemeine Zeitung, 26.06.1995, S. 12


Die Ökonomik der Geldstrafe
Und ihre Funktion im umweltpolitisch motivierten Staatshaushalt

Siegfried Gelbhaar: Monetäre Sanktionen als Instrumente staatlichen Handelns. Ökonomik der Geldstrafen und ihre Funktion im umweltpolitisch motivierten Staatshaushalt. Verlag Duncker & Humblot, Berlin 1994, 302 Seiten, 92 DM.

Dieses Buch, das der Freundeskreis Trierer Universität mit dem Förderpreis für Nachwuchswissenschaftler ausgezeichnet hat, ist eine interdisziplinäre Arbeit im besten Sinn. Der Autor verfolgt das Ziel, "die zentralen Ergebnisse der ökonomischen Analyse des Ordnungswidrigkeiten-und Strafrechts zusammenzuführen und sie im Anschluß auf den Wirkungsbereich der Umweltpolitik anzuwenden". Siegfried Gelbhaar interessiert die Frage, ob die Drohungen mit monetären Sanktionen im Ordnungswidrigkeiten- und Strafrecht die angestrebten Ziele erreichen. Dabei ist er sich der "Provokation" bewußt, die manche Rechtswissenschaftler darin sehen mögen, daß wieder einmal an das zumeist hermetisch verschlossene Tor des Ordnungswidrigkeiten- und Strafrechts mit dem Anspruch angeklopft wird, ökonomische Denkweisen und ihre Ergebnisse als Kriterium für die Gestaltung von Ordnungswidrigkeiten- und Strafrecht zuzulassen.

Angesichts der Tatsache, daß immer größere Bereiche ökonomischen Handelns im nationalen und transnationalen Bereich Vorschriften unterworfen werden, die mit monetären Sanktionen gekoppelt sind, kommt dabei dieser Arbeit eine weit über das Umweltrecht gehende Bedeutung zu. Eine eher noch größere Bedeutung ergibt sich aus der Tatsache, daß Geldstrafen und Geldbußen und ähnliche monetäre Sanktionen nicht allein im Interesse von Lenkungszielen verhängt werden, sondern auch Gegenstand finanzwirtschaftlicher Planung und Rechnungslegung sind. So ergibt sich als eher noch interessanterer Aspekt "ein potentieller Konflikt zwischen der Lenkungsabsicht einerseits und der sich einstellenden Finanzierungswirkung andererseits". Zu Recht weist Gelbhaar darauf hin, daß bei vollständiger Realisierung des Lenkungsziels der Vollzugsbehörde, also bei vollständiger Beachtung des Ordnungswidrigkeiten- und Strafrechts, keine staatlichen Einnahmen entstehen. Folgt man jedoch der Sichtweise finanzwirtschaftlicher Planung mit Rechnungslegung und hofft auf das Entstehen der Einnahmen, dann wird die ursprüngliche Lenkungsfunktion im Grunde aufgehoben.

Am Ende des ersten Kapitels, in dem der Autor das Verhältnis von Sanktionen und Normen ökonomisch gründlich analysiert, steht ein Plädoyer für einen systematischen Wirkungsverbund von Kriminal- und Finanzpolitik - also für ein ökonomisch geöffnetes Konzept von Kriminalpolitik auf der Basis eines dauernden interdisziplinären Gesprächs zwischen Wirtschaftswissenschaftlern und Kriminalpolitikern.

Im zweiten Kapitel geht es um die Bestandsaufnahme und finanzwissenschaftliche Bewertung monetärer Sanktionen, beginnend mit einer Bestandsaufnahme der vielfältigen Arten monetärer Sanktionen im deutschen Recht. Wer einen Einblick in Transparenz oder Intransparenz monetärer Sanktionen im System der öffentlichen Einnahmen sucht und eine Stärken-Schwächen-Analyse der finanzwirtschaftlichen Nachweise von Mittelaufkommen und Mittelverwendung, findet hier ein Feld bestellt, das sich bisher eher als weißer Flecken auf der Landkarte dargestellt hat und das deshalb auch einer rationalen Diskussion kaum geöffnet worden ist. Im Ergebnis des zweiten Kapitels präsentiert Gelbhaar eine Vielzahl von Vorschlägen für eine Neuorientierung der Formen der monetären Sanktionierung im deutschen Rechtssystem. Diesem qualifizierten Anklopfen wird sich das Ordnungswidrigkeiten- und Strafrecht und auch das Rechtssystem im übrigen nicht verschließen können.

Im dritten Kapitel untersucht der Autor die Frage, ob Umweltnormen mit monetärer Sanktionsdrohung ein Element rationaler Umweltpolitik sind. Nach einer gründlichen und außerordentlich differenzierten Analyse kommt er zu Ergebnissen, die dazu zwingen, den größten Teil des umweltpolitischen monetären Sanktionsinstrumentariums zu überdenken.

Der Wert dieser wegweisenden und wirtschaftsrechtlich wie wirtschaftspolitisch sowie rechtspolitisch in ihrer Bedeutung hoch zu bewertenden Arbeit liegt auf drei Gebieten: Sie ist ein Appell an den Gesetzgeber, in allen Bereichen der Kriminalpolitik das interdisziplinäre Gespräch mit der Ökonomie zu suchen, bevor monetäre Sanktionen eingesetzt werden. Sie ist zugleich eine Einladung an die Forschung, auch andere Politikfelder als die Umweltpolitik vergleichbaren Analysen zu unterziehen. Sie ist schließlich eine Ermutigung an die Rechtsprechung, die sich häufig, wie der Autor nachweist, auch dazu bereit findet, die monetären Sanktionsinstrumente ökonomisch zu durchdenken und Ökonomie und Kriminalpolitik in der Praxis zusammenzuführen.

GERHARD W. WITTKÄMPER (Professor für Politikwissenschaft an der Universität Münster)


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